Geigenbauer Smeets in seiner Werkstatt.

 

 

Rechts und links der Kaiserstraße

Vom Martin-Donandt-Platz zum Waldemar-Becké-Platz

in den fünfziger Jahren

 

von Dr. Gunnar Krone

 

 

Zeit vergeht. Meist unmerklich. Zeit ist aber keine Illusion. Ihre Wahrnehmung entsteht regelmäßig allerdings erst im Erlebnis, sei es noch so klein, sei es noch so unbedeutend, sei es vielleicht sogar nur ganz beiläufig gewesen.

 

Ich habe als Kind bis zum Jahr 1957 rund 10 Jahre lang in der Kaiserstraße gewohnt. Viele – zumeist kleine, unbedeutende und bisweilen auch völlig alltägliche - Ereignisse und Erlebnisse prägen meine Erinnerung an jene Zeit. Ihre nahtlose Aneinanderreihung lässt meines Erachtens aber – beinahe wie ein Daumenkino – gleichwohl ein durchaus bewegtes und vor allem  lebendiges Bild von der Kaiserstraße in den fünfziger Jahren entstehen.

 

Daher möchte ich aus meiner ganz persönlichen Erinnerung diese kleinen Ereignisse und Erlebnisse aufschreiben. Ich wünsche mir, dass aus der Sequenz meiner Einzelerinnerungen eine gedanklich fortlaufende Bildfolge und damit auch für jene, die die damalige Zeit nicht selbst erlebt haben, ein möglichst anschauliches und deutliches Bild von  der Kaiserstraße in den fünfziger Jahren entsteht.

 

Begleiten Sie mich also, wenn Sie möchten, auf einem solchen Erinnerungsbummel vom Martin-Donandt-Platz zum Waldemar-Becké-Platz, - auf der rechten und auf der linken Seite der Kaiserstraße in den fünfziger Jahren.

 

Vom Martin-Donandt-Platz aus mit dem seinerzeitigen „Haus des Handwerks“ und dem markanten Turnvater Jahn-Denkmal sehe ich auf der anderen Straßenseite das Eckhaus mit der Lloyd Apotheke.

 

In nördlicher Richtung befindet sich neben der Lloyd Apotheke die kleine Speiseeisdiele von Bernie. In ihr befand sich - gegenüber vom Straßeneingang - eine winzige Theke mit dem Eisverkauf. Hier konnte man sich an tiefen Eisschalen die gewünschten Sorten zusammenstellen, - beispielsweise Vanille, Schoko, Erdbeere. Links neben dem Eingang am Fenster und inmitten der Eisdiele luden insgesamt zwei, drei Tische mit Stühlen zum Verweilen ein. Bei Bernie gab es – durchaus nicht nur für Kinder -  immer besonders leckeres Speiseeis. Die Kugel kostete 10 Pfennig.

 

Weiter nördlich auf der linken Straßenseite steht ein Haus, in dem in einer der oberen Etagen ein Arzt seine Praxis betrieb und in dem auch der Malermeister Justus wohnte. Malermeister Justus machte nicht nur saubere Anstriche, sondern fertigte auch schöne Ölgemälde an, unter anderem mit Bremerhavener Motiven. Malermeister Justus hat in den sechziger Jahren aber auch , als ich – natürlich vergeblich - den Black Stars aus Bremerhaven nacheifern wollte, den eleganten Schriftzug „The Pioneers“ für die Bass Drum meines Schlagzeuges gezeichnet und ausgemalt. Noch heute halte ich dieses  ebenso kreativ wie edel gestaltete Emblem in Ehren.

 

Der in dem Haus seinerzeit praktizierende Arzt hat eine große Platzwunde an meinem Kinn genäht, als mich als kleinem Knirps größere Kinder auf dem Weserdeich umgelaufen hatten und ich mit dem Kinn auf den harten Boden aufschlug. Weil ich beim Nähen der Wunde nicht weinte, naja, jedenfalls nicht tüchtig weinte, erhielt ich zur Belohnung von meinen Eltern ein Micky Maus-Heft. Auf der Titelseite war ein großer Stiefel abgebildet, in dem Micky Maus seine Wohnung hatte. Hätte ich dieses Heft bis heute aufbewahrt, so wäre es jetzt wohl schon ein kleines Vermögen wert.

 

In nördlicher Richtung vor dem Haus mit dem Arzt und dem Maler war im Erdgeschoss ein Geschäft, das Jagdwaffen und Metallwaren verkaufte. Hier haben mir meine Eltern ein Fahrtenmesser gekauft, das ich im Schaufenster gesehen und das mir besonders gut gefallen hatte. Das Innere des Geschäfts empfand ich allerdings als eher dunkel und es war mir angesichts der ausliegenden Gewehre und der vielen metallenen Gegenstände auch ein bisschen unheimlich. Ich habe dieses Geschäft nicht wirklich gerne betreten.

 

Schräg gegenüber, also auf der rechten Straßenseite,  lag der Frisörsalon Ewers, den meine Großmutter – obwohl zwischenzeitlich im damaligen Westerbeverstedt (heute: Beverstedt)  wohnend – bis ins hohe Alter aufsuchte und sich ihr dort frisch geschnittenes Haupthaar mit einer Brennschere auch ondulieren ließ.

 

In Richtung Schleusenstraße befand sich ein paar Schritte vor dem Frisörsalon Ewers der Schiffsausrüster Varoga. Das Schaufenster von Varoga war immer maritim dekoriert Häufig stand als Blickfang eine große Puppe, bekleidet mit Südwester und Ölzeug, im Fenster. Aber auch Fischernetze, Fischerkugeln, Rettungsringe, Schiffslaternen und vieles anderes mehr signalisierten bei Varoga schon auf den ersten Blick, dass sich in diesem Geschäft ein maritimer Versorgungsfachbetrieb befand.

 

Noch ein kleines Stück weiter nördlich – nun aber auf der linken Straßenseite – an der Ecke zur Schleusenstraße lud das Feinkostgeschäft von Helmuth Seithe mit dem großen Namenszug SEITHE über der Eingangstür zum Einkaufen ein.

 

Überquerte man von Seithe aus die Schleusenstraße freute sich auf der gegenüber liegenden Seite das Restaurant Ruländer auf seine Gäste. Hans Ruländer war ein in Bremerhaven bekannter Gastronom. Unter anderem bewirtschaftete er auch Restaurant/Café und Kantine des damaligen Columbusbahnhofs. Im Restaurant Ruländer in der Kaiserstraße begrüßte er oftmals höchstpersönlich seine Gäste an den Tischen und beriet sie bei Bedarf zu den von ihm angebotenen schmackhaften Speisen und Getränken. Zu besonderen familiären Anlässen haben meine Eltern das Restaurant Ruländer aufgesucht und ich durfte dann ebenfalls mit dabei sein.

 

Unmittelbar vor dem Restaurant Ruländer war die Straßenbahnhaltestelle „Schleusenstraße“ der „Grünen 3“. An dieser Straßenbahnhaltestelle war ein kleiner Verkaufstand mit Zeitungen, Zeitschriften etc. aufgebaut. Wenn es regnete, wurde der Stand vom Verkäufer kurzerhand mit Plastikplanen abgedeckt, ohne dass dadurch allerdings der Verkauf unterbrochen wurde. Der Zeitungsstand hatte kleine Räder; abends wurde er kurzerhand weggerollt.

 

Auf der gegenüberliegenden, also auf der rechten Straßenseite, wurde an der Ecke Kaiserstraße/Schleusenstraße eine Gaststätte betrieben. Außerdem soll sich dort früher ein Hotel befunden haben. Daran kann mich allerdings nicht erinnern. Es war vermutlich „vor meiner Zeit“.

 

Ich weiß allerdings noch, dass in nördlicher Richtung vor der Eckgaststätte eine Drogerie war, - mit einem großen Schriftzug „Drogen“. Dieser Schriftzug war dabei – wie ich später lernte – keineswegs ein Hinweis auf illegale Substanzen, sondern im Sinne von „Heilmittel“ zu verstehen.

 

Noch ein Stück weiter nördlich befand sich ursprünglich das Radio- und Phonogeschäft Klemt,  das später in das (heutige) Haus Nr. 161 umzog.

 

Überquerte man vom ehemaligen Ladengeschäft Klemt aus die Kaiserstraße auf die linke Seite, so stand man ungefähr in Höhe des Fleisch- und Wurstwarenladens von Albert Lutze.

 

Weiter nördlich war auf dieser Straßenseite ein Tabakwarengeschäft, das auch Sammlerbriefmarken verkaufte, die – wenn man mit dem Finger auf eine Marke deutete - mit der Pinzette vorsichtig aus einem dicken Einsteckalbum herausgeholt und in eine kleine transparente Tüte eingefüllt wurden. Außerdem gab es in diesem Tabakwarengeschäft Filmstar-Postkarten. Für Sammlerbriefmarken und Postkarten mit abgebildeten Filmstars habe ich in diesem Geschäft so manchen Groschen von meinem Taschengeld abgezwackt. Die erste dort gekaufte Filmstar-Postkarte sehe ich noch vor mir, - Johnny Weissmüller war als Tarzan darauf abgebildet.

 

Auf der linken Straßenseite - noch ein Stückchen weiter nördlich - befand sich die Drogerie von Albert Paulsen. Betrat man dieses geräumige, helle Geschäft sah man geradeaus den Bereich mit den Drogerieartikeln und der Parfümerie. Rechts vom Eingang war ein separater, etwas erhöht liegender Ladenbereich abgeteilt. Dort wurden Fotoartikel, - bis hin zu Kameras, aber auch sonstige Leistungen rund um die Fotografie angeboten. Mein Vater hat sich bei Albert Paulsen irgendwann in den fünfziger Jahren eine Leica Camera gekauft und die damit aufgenommenen Rollfilme stets zum Entwickeln und Kopieren in dieses Geschäft gebracht.

 

Kehren wir auf die rechte Seite der Kaiserstraße zurück und gehen dort in Richtung Sommerstraße, dann begegnen wir  jenem Haus, in dem im Erdgeschoss Thams & Garfs eingerichtet war. Bei „Thammel & Gammel“ wie das Geschäft in Bremerhaven bisweilen liebevoll genannt wurde, wurden damals in der Kaiserstraße die Kunden noch persönlich bedient. Eine Selbstbedienung gab es dort seinerzeit noch nicht.

 

Überquerte man nun die Sommerstraße auf der rechten Straßenseite der Kaiserstraße, so stand man vor einem Eckhaus mit einem Obst- und Blumenladen, zu dem man ein paar Stufen hinunter gehen musste.

 

Nördlich davor war der Frisörsalon Emde, in dem auf der linken Seite die Damen und auf der rechten Seite die Herren bedient wurden. Bei „Emde“ bekam ich regelmäßig meinen Fassonschnitt.

 

Ein paar Schritte vor dem Frisiersalon Emde befand sich – ebenfalls ein paar Stufen hinunter führend – eine kleine Leihbibliothek. Wenn man eine Lesekarte hatte, konnte man sich dort gegen geringes Entgelt von einer älteren Dame Bücher, aber auch Zeitschriften ausleihen. Soweit es um Bücher ging, habe ich davon wiederholt Gebrauch gemacht. Unter anderem habe ich auf diese Weise die Karl May-Trilogie „Satan und Ischariot“ kennen gelernt. Da eines der drei Bücher durch die wiederholten Ausleihen mittlerweile stark beschädigt war, haben mein Vater und ich es in mühevoller Handarbeit repariert. Dadurch konnte es hoffentlich noch vielen anderen Kindern ungetrübte Lesefreude bereiten.

 

Ich überquere in Gedanken von der Leihbücherei aus die Kaiserstraße und gehe - nun wieder auf ihrer linken Seite - ein kleines Stück zurück in Richtung Sommerstraße. Dann stehe ich vor dem heutigen Haus Nr. 204, das in Folge eines schrecklichen Unglücks nur noch aus dem Erdgeschoss besteht. In diesem Erdgeschoss befand sich in den fünfziger Jahren ein Laden mit Geschenkartikeln und Kunsthandwerk. Hier habe ich meiner Mutter zum Geburtstag einmal für 5 Mark eine kleine, kugelrunde gelbe Kerze auf einem schwarzen Metallständer gekauft.

 

Auf der linken Straßenseite bleibend und ein Stück weiter in nördliche Richtung war der Obst- und Gemüseladen Grafelmann. Betrat man das Geschäft war rechts die Verkaufstheke. Auf und hinter der Theke war eine Unmenge an Obst- und Gemüsekästen ausgebreitet. Auch im weiteren Ladenraum verteilten sich zahlreiche Kartons, Kisten und Säcke, jeweils voll mit Früchten, Gemüse, Kartoffeln und vielen anderen pflanzlichen Produkten aus der Natur.

 

Nur wenig weiter nördlich auf der linken Straßenseite war das Lebensmittelgeschäft Kurps. Hier war nach meiner Erinnerung die Theke in Hufeisenform aufgebaut. Ich kannte von der Schule her den Sohn der Familie Kurps, der in meinem Alter war. Ich meine, dass wir damals sogar Klassenkameraden waren. Auf jeden Fall ist mir in Erinnerung geblieben, dass er bunte Prospekte sammelte, die wir uns immer wieder gemeinsam angesehen haben, die ich mir manchmal zum Anschauen auch bei ihm ausgeliehen habe.

 

Und noch ein Stückchen weiter nördlich war die Eisenwarenhandlung Ziegfeld ansässig. Bei „Ziegfeld“ absolvierte in den fünfziger Jahren Helge Rothenburg seine Ausbildung. Helge Rothenburg ist jener junge Mann gewesen, der am 01.10.1958 bei der Ankunft von Elvis Presley diesen um ein Autogramm bat, – als zeitgeschichtliches Dokument festgehalten auf einer weltberühmten Fotografie.

 

Räumlich neben „Ziegfeld“ befand sich eine kleine Bar, deren Name mir allerdings entfallen ist, - möglicherweise deswegen, weil mir als Kind der Zutritt verständlicherweise versagt war.

 

Ich meine, in Höhe von „Ziegfeld“ und der Bar sei in einem Hinterhof die Werkstatt des Geigenbauers Johann Smeets gewesen. Ich habe diese Werkstatt als Kind zwar ein paar Mal besucht, kann sie aber nicht mehr genau lokalisieren. Beeindruckt haben mich damals allerdings weniger die in der Werkstatt vorhandenen Geigen. Viel interessanter waren für mich die vielen, mir damals weitgehend unbekannten Holzwerkzeuge, die Johann Smeets zur Herstellung seiner Streichinstrumente verwendete und die er mir, wenn ich danach fragte, geduldig erklärte.

 

Blickte man von der kleinen Bar bzw. von „Ziegfeld“ auf die rechte Seite der Kaiserstraße, sah man die (heutigen) Häuser Nr. 161 und Nr. 163. Sie sind von meinem Großvater, dem Baumeister Wilhelm Krohne, errichtet worden. Seit dessen Tod im Jahre 1926 standen sie im Eigentum der „Erbengemeinschaft Wilhelm Krohne“. Im Haus Nummer Nr. 161 habe ich mit meinen Eltern bis zum Jahre 1957 gewohnt. Ich kann mich an unsere Dreizimmerwohnung in der 1. Etage noch gut erinnern, auch an das Treppenhaus und den dunklen, niedrigen und vor allem verschlungenen Kellerbereich, dessen Betreten mich immer ein bisschen Überwindung gekostet hat.

 

Im Erdgeschoss des Hauses Nr. 161 befand sich zunächst das Einrichtungshaus Warrings und danach das Radiogeschäft Klemt, das irgendwann in den 50iger Jahren vom weiter südlich gelegenen Straßenabschnitt hierher umzog. Ich durfte mir in dem neuen Ladengeschäft gelegentlich die neuesten Radiogeräte und Plattenspieler ansehen. Besonders schön war es, wenn Anita Klemt dann auch noch eine Schallplatte auflegte und ich mir auf diese Weise einen Schlager von Rudi Schuricke, Lys Assia, Caterina Valente (und wie sie alle hießen) anhören konnte.

 

Oberhalb der Eingangstür des Hauses 161 war in Richtung Kaiserstraße ein längliches Metallschild angebracht, das auf den Malerbetrieb Löser hinwies, der seine – über eine Toreinfahrt erreichbare – Werkstatt im Hinterhof zwischen den Häusern Nr. 161 und Nr. 163 eingerichtet hatte. Der Malerbetrieb Löser ging meiner Erinnerung nach später auf den Malermeister Matthes und dann auf den – schon erwähnten - Malermeister Justus über.

 

Im Hinterhof zwischen den Häusern Nr. 161 und Nr. 163 befand sich außerdem die Räucherkammer der Metzgerei und Fleischerei Alfred Richter, deren Ladengeschäft mit der Hausnummer 163 zur Straßenseite lag. Damit es in den Feuerstellen der Räucherkammern mit verbrannt werden konnte, sammelte ich das ganze Jahr über in einer kleinen Pappschachtel sorgfältig das Sägemehl, das nach und nach anfiel, wenn ich zu Weihnachten oder zu Geburtstagen als Geschenke kleine Laubsägearbeiten anfertigte. War die Pappschachtel voll, gab ich das mit Sägemehl gefüllte Kästchen in der Räucherkammer von Alfred Richter ab. Dafür erhielt ich als „Dankeschön“ regelmäßig ein leckeres Wiener Würstchen, was mich zum erneuten fleißigen Sammeln des Sägemehls anspornte. Auf diese Weise sind viele Familienangehörige, aber auch diverse andere Personen von mir bei jeder passenden Gelegenheit mit Laubsägearbeiten bedacht worden. Einmal bin ich auf dem Weg zur Räucherkammer vor Aufregung, dass ich das gefüllte Kästchen nun endlich gegen ein Wiener Würstchen eintauschen konnte, gestolpert. Ich fiel hin und verschüttete das Sägemehl. Mit den Händen habe ich es zusammengekratzt, die verbliebene dürftige Menge wieder ins Kästchen gefüllt und dieses bei Herrn Richter abgegeben. Meine Augen müssen geleuchtet haben, als er mir trotz (oder gerade wegen) meines Missgeschicks abermals ein leckeres Wiener Würstchen schenkte.

 

In nördlicher Richtung direkt neben „Schlachter Richter“, wie wir das Geschäft von Alfred Richter nannten, befand sich – ebenfalls im Haus Nr. 163 - die Kanzlei meines Vaters, des Rechtsanwalts und Notars Herbert Krone. Hier war ich immer wieder Gast, häufig nach der Schule, vor allem dann, wenn meine Mutter im Sekretariat der Kanzlei mit aushalf.

 

Nochmals ein Haus weiter in nördlicher Richtung war das Lebensmittelgeschäft Kuhnt. Herr Kuhnt trug immer eine schwarze Baskenmütze, - auch in seinem Geschäft.  Die Mütze war gewissermaßen sein Markenzeichen. Er erinnerte mich mit der Mütze immer ein bisschen an „Meister Müller“ aus „Max und Moritz“. Betrat man das Geschäft von Herrn Kuhnt standen rechts und geradeaus große hölzerne Verkaufstresen. Hinter dem Tresen rechts war eine hohe Regalwand, auf der ganz oben, erreichbar nur über eine lange Leiter, in bauchigen Gläsern die Süßigkeiten standen. Unten – in bequemer Greifhöhe – befanden sich diverse Kaffeeschütten, eine elektrische Kaffeemühle und vor allem eine gewaltige Registrierkasse. Gegenüber des Tresens auf der rechten Ladenseite standen links verschiedene Metalldosen mit Keksen, die man „loose“, also stückweise, kaufen konnte und die daher zur exakten Preisermittlung sorgsam abgewogen werden mussten. Hinter den Keksdosen befand sich ein Regal mit Spirituosen aus aller Herren Länder. Sie haben mich damals allerdings nicht interessiert. Weitaus wichtiger waren für mich die Gläser mit den Süßigkeiten auf der anderen Seite des Ladengeschäfts. Ging man von der Eingangstür durch den Laden geradeaus hindurch, gelangte man durch eine Tür in einen winzig kleinen, fensterlosen Raum, der vom Kaufmann Kuhnt als „Büro“ genutzt wurde. Hier saß er manchmal sogar noch spätabends bei elektrischem Licht und machte seine Abrechnungen und Bestellungen. Wenn ich Anfang der fünfziger Jahre von meinen Eltern mit einem Einkaufszettel zum Kaufmann Kuhnt geschickt wurde, bekam ich von dem liebenswürdigen älteren Herrn mit der Baskenmütze als Dank für den Einkauf regelmäßig ein Voss-Margarinebild, das ich dann zu Hause in ein dazu passendes, den Titel „Das Tierreich“ tragendes Sammelalbum einklebte. Ich habe dieses Sammelalbum mit den darin eingeklebten „Kunstbildern“ von Voss noch heute.

 

Ein paar Schritte nördlich vom Lebensmittelgeschäft Kuhnt war die Bäckerei und Konditorei Rudolf Schade. Hier holte ich für unsere Familie morgens zum Frühstück immer frisch gebackene „Knüppel“, - anfangs für 5 Pfennig pro Brötchen. In späteren Jahren waren es dann 6 bzw. 7 Pfennig.

 

Wenn wir jetzt – erneut in nördlicher Richtung - von der rechten Straßenseite auf die linke Seite der Kaiserstraße wechseln, war dort ursprünglich das Papierwaren-  und Spielzeuggeschäft Wohlers, - wegen des damals überaus reichlichen Angebots an Spielzeug mein absolutes Lieblingsgeschäft. Viele, viele Male habe ich vor dem Schaufenster von „Wohlers“ gestanden und die wunderschönen Dinge angeschaut, die darin ausgebreitet waren. In der Adventszeit war in der Auslage sogar eine elektrische Eisenbahn aufgebaut, die ich immer wieder neu mit leuchtenden Augen betrachten konnte. Es war für mich immer etwas Besonderes, wenn ich dieses Geschäft betreten und mir von meinem Taschengeld ein Viking- oder ein SIKU-Miniaturauto oder vielleicht auch ein Röhrchen mit Seifenblasen kaufen durfte. Irgendwann war das Ladengeschäft für die Familie Wohlers wohl zu klein geworden und sie siedelten auf gleicher Straßenseite in das Eckhaus Kaiserstraße/Am Gitter um. Jene paar Meter, die ich nun von zu Hause weiter gehen musste, um zu „Wohlers“ zu gelangen, habe ich gerne in Kauf genommen: Einmal kam ich dadurch an dem Haus vorbei, in dem mein damals bester Freund Meinhard wohnte und mir manchmal vom Fenster aus zuwinkte. Zum anderen hielt nun durch den weiteren Weg zu „Wohlers“ auch die schöne Vorfreude auf die Spielwaren etwas länger an.

 

Aber gehen wir noch einmal die kurze Strecke zu dem ursprünglichen Ladengeschäft von „Wohlers“ zurück, von dem aus – etwas weiter nördlich -  das Fotostudio Cario, dann die – vom Apotheker Alfred Schmidt geführte - Weser Apotheke und schließlich jenes Eckhaus erreichbar waren, wohin später das Ladengeschäft Wohlers übersiedelte. Überqueren wir an dieser Stelle die Kaiserstraße,  gelangen wir also nochmals auf deren rechte Straßenseite, dann sind wir am Endpunkt des Spaziergangs meiner Erinnerungen, nämlich am Waldemar-Becké-Platz.

 

Dennoch wollen wir von hier aus die Kaiserstraße noch ein Stück in südliche Richtung zurückgehen. Dort befand sich nämlich in den fünfziger Jahren eine Klempnerei, von der ich meine, sie sei von einem Klempnermeister Frenzel betrieben worden.

 

Noch etwas weiter südlich, kurz vor der Bäckerei Schade und dem Kaufmann Kuhnt, gab es schließlich noch die Wäscherei und Chemische Reinigung von Werner Mäkler, der als Ligaobmann auch beim Bremerhavener Sportvereins “TuS Bremerhaven 93“ in führender Funktion aktiv war.

 

Mit der Erwähnung der Wäscherei und Reinigung von Werner Mäkler stehe ich in meinen Erinnerungen nun beinahe schon wieder in Höhe des Hauses Nr. 161, in dem ich über viele Jahre hinweg meine Kindheit verbracht habe. Und vor dem Haus Nr. 161  verläuft mit der guten alten „Kaiserstraße“ nach wie vor jene freundliche, familiäre, Vertrautheit und Geborgenheit vermittelnde Straße, die trotz ihres stolzen Alters von rund 150 Jahren bis heute  jung und dynamisch ist: die Kaiserstraße. Mögen meine ganz persönlichen Erinnerungen eine kleine Liebeserklärung an sie sein.

 

 

 Eis Bernie am Fenster seiner Eisausgabe..immer mit hübschen Mädchen..