Schusterwerkstatt Steinke - Erinnerungen von Gerd Wille

Übersetzung

Nr.45 des Notariatsregisters für  1914

Erste Ausfertigung

Vor mir, dem unterzeichneten Notar Dr.juris Bernhard Rudolf in Lehe, Langestraße 155, erschienen

Durch den miterschienenen dem Notar persönlich bekannten Schuhmachermeister Wilhelm Müller in Lehe, Oststr. 15, vorgestellt und damit der Persönlichkeit nach festgestellt,

a)      Frau Maria Steinke geb. Klein in Lehe Buchtstraße 32

b)       deren Ehemann, der  Schumacher August Steinke, ebenda wohnhaft.

Letzteren erklärten: Wie haben am 6. Dezember 1913 in Lehe die  Ehe geschlossen und wollen hiermit ein  Inventar derjenigen  Sachen aufnehmen lassen, welche die Ehefrau Maria Steinke in die Ehe eingebracht hat. Sie hat folgende Sachen eingebracht:

a)      Solche die sie vor dem Eheabschluß  von dem miterschienenen Schuhmachermeister Müller geschenkt bekommen hat: 1 Schuhmachernähmaschine, 1 Lederwalze, 1 Fahrrad, sämtliches Schuhmacherhandwerkzeug, 1 Sofa, 2 Tische, 2 Sessel, 2 Stühle, 1 Garderobe, 1 Waschtisch, 1 Spiegel, 1 Regulator, 2 Wandbilder,  1 Nippesbort, 2 Bettstellen mit Betten, 1 Küchenschrank und sämtliches Porzellangeschirr.

b)      Solche, welche sie von ihren Eltern bekommen oder aus eigenen Geld angeschafft hat: die Wäsche, 2 Bilder, 1 Nähmaschine, 1 Kleiderschrank, 1 Bettstelle mit Betten, 1 Kinderwagen, 3 Stühle in der Küche, 1 Gasherd und 250 Mark bares Geld.

Die Ehefrau beantragt eine Ausfertigung dieses Protokoll der Wert des Gegenstandes dieses Protokolls ist 750 Mark.

Das Protokoll wurde den Erschienenen vorgelesen, von ihnen genehmigt und wie folgt eigenhändig unterschrieben.

gez. August Steinke

gez. Maria Steinke geb. Klein

gez. Wilhelm Müller als Zeuge

 

gez.  Dr-. Bernhard Rudolph Königlicher Notar.

Mein Abenteuerspielplatz bei Oma und Opa

1939 kurz vor Kriegsausbruch kam ich zur Welt und war als Erstgeborener nicht nur der Stolz meiner Eltern, sondern auch meiner Großeltern August und Maria Steinke, die in der Kaiserstraße eine "gut gehende" Schuhmacherwerkstatt und eine Lederwarenhandlung führten.

 

Wie es in der Vor-Pillen-Zeit so war, wurde meine Mutter jedes Jahr schwanger und ich kam dann für mehrere Wochen zu meinen Großeltern in die Kaiserstraße. Dort wurde ich liebevoll aufgenommen und hatte als Lieblingsenkel absolute Narrenfreiheit.

Neugierig zog es mich immer in den Laden und vor allem in die Schuhmacherwerkstatt, in die ich eigentlich nicht durfte.

In der Werkstatt arbeiteten mindestens drei bis fünf Gesellen und es herrschte ein ständiges hämmern und klopfen, die Pressen zischten und das flattern der  Treibriemen, (flapp-flapp-flapp) die über die unter der Decke laufende Transmission die Schleif- und Poliermaschinen antrieben, habe ich noch heute im Ohr. Dazu der fröhliche Gesang der Gesellen und der unvergessene Geruch nach Leder und Leim und vom Qualm der Tabakspfeifen.

Wenn die mindestens eine halbe Tonne schwere Nagelmaschine, die zum besohlen der Soldatenstiefel mit Holznägeln gebraucht wurde, angeworfen wurde, dann dröhnte und zitterte die ganze Werkstatt und die Maschine fing an, auf dem Holzfußboden zu tanzen.

Auf dem geölten Holzfußboden lagen ständig Nägel, Nadeln, Absatzeisen, Nähgarnrollen usw. herum und weil meine nackten Füße eine dicke Hornhaut hatten, zog ich mir eingetretene Nägel einfach wieder heraus.

Mein Großvater, ein stattlicher Mann, hatte im ersten Weltkrieg seine Haarpracht verloren und trug ständig eine Mütze. Meine Mutter hatte mir eingeschärft, mich darüber nicht lustig zu machen. Aber ich durfte ungestraft "Opa hat 'ne Glatze, Opa hat 'ne Glatze" singen. So sehr er mich liebte, so gern hatte ich ihn.

In den 20er und 30er Jahren war er aktiver Rennfahrer, anfangs bei Radrennen, später bei Motorradrennen, wobei er stets das stärkste Motorrad, meistens eine Indian haben musste. Meine Großmutter erzählte später von manchen Abenteuern und Begebenheiten. So hatte sich Opa bei Jonny Meyer in der Hafenstraße mal wieder ein 750ccm-Indian Motorrad gekauft, die ihm aber an der kleinen Steigung am Leher Tor zu wenig Beschleunigung hatte. Flugs kehrte er wieder um, schimpfte mit dem Händler und bestellte sich sofort eine 1000er. Meine Oma hatte wenig Freude im Seitenwagen zu sitzen, für meine Mutter als junges Mädchen hingegen, war es ein Vergnügen, mitfahren zu dürfen.

 

1932 Jahre wurde eine DKW-Limousine angeschafft, die Opa über den Krieg rettete, indem er die Räder abmontierte und den Wagen versteckte.

Meinen Großeltern ging es auch im Krieg wirtschaftlich gut. Es gab von Allem reichlich auf den Tisch und ich staunte über die Mengen, die mein Großvater essen konnte. Das Schlafzimmer lag hinter dem Laden links vom langen Flur am Lichthof. Ich schlief auf der "Ritze" und wachte nachts manchmal auf, wenn der Regen in den Hof platschte.

Wenn meine Mutter mich nach Wochen wieder abholte, stellte sie mich auf einen Schuhmacherhocker, und sah streng auf meine ausgebeulten Hosentaschen. Meine Großmutter setzte sich zwar mit "Anni, lass ihm die Sachen doch" für mich ein, doch ich musste meine gesammelten Schätze, dazu gehörten neben Nägeln und Stossplatten auch blanke Geldmünzen, die ich aus der offenen Kassenschublade gemopst hatte, auspacken.

Dann wurde entschieden, was ich mitnehmen durfte und diesen Rest musste ich zu Haus mit meinen Geschwistern teilen.

 

 

Für mich war die Werkstatt meiner Großeltern der schönste Abenteuerspielplatz.

Erinnerungen an den Warenbestand und Werdegang des Betriebes

 

Bis 1949 wurden Laden und Werkstatt in der "halben Haushälfte" betrieben, da waren Sortiment und Umsatz vom Reparaturgeschäft dominiert.

Zu kaufen gab es bis zur Währungsreform ja nichts, aber es gab Unmengen von, auch aus der Vorkriegszeit gehortetem, Reparaturmaterial wie kostbares Oberleder, Ledersohlen, Hackenabsätze, und ganz wichtig, damit die Sohlen länger hielten, Sohlennägel und eiserne Stoßplatten sowie Hackeneisen in allen Größen. Die U-förmigen Hackeneisen umschlossen den Hacken fast wie ein Hufeisen und auf den Straßen klackerte es wie beim Stepptanz.

Dann natürlich Schuhmacherleim aus tierischen Abfällen, (die Schuhe mussten über Nacht in die Presse), ab 1949 gab es "Kövulfix", der das pressen entbehrlich machte, Nähgarne, Pechdraht, Stück 25 Pfg., (Wachs, Schnürbänder, Ösen, Haken, Lederfett, "Erdal"-Schuhcreme.

Zur Einschulung bekamen mein Bruder und ich 1945 und 1947 einen handgefertigten Schulranzen aus bestem Rindleder, die uns noch Jahre später als Gepäckkoffer auf dem Motorrad und im Auto als Werkzeugtasche begleiteten. Aber ab 1948 war das Handgefertigte nicht mehr schick genug. Im Laden wurden allerdings weiterhin Schultornister, Einkaufstaschen, Damenhandtaschen angeboten.

1949 starb mein Großvater, der Betrieb wurde Anfang der 50er Jahre auf "1/4" verkleinert, meine Großmutter behielt einen Gesellen, der ein Zimmer

zum Garten hatte.

Wenige Jahre später habe ich den gewaltigen, tonnenschweren Maschinenpark demontiert und verschrottet.

Der Reparaturbetrieb ging stark zurück, Oma und Geselle "Opa Gries" konnten sich mit den neumodischen Materialien nicht anfreunden, aber die Kaiserstraße war bis Ende der 60er Jahre eine gut frequentierte Einkaufsstraße und so wurden Taschen aller Art, Koffer, Tornister (auch aus dem "neumodischem Kunststoff") und natürlich immer noch Reparaturmaterial verkauft.

Tja, das Ende des kleinen inhabergeführten Einzelhandels war irgendwann unausweichlich, meine Großmutter gab 1970 das Geschäft auf.